Die Wege, auf denen es bildenden Künstlern, Musikern, Komponisten, Autoren und Theaterschaffenden gelingen kann, ihre Arbeiten einer Öffentlichkeit vorzustellen, sind gepflastert mit Widersprüchen. Abseits der Arbeit am eigenen künstlerischen Werk gilt es für den Einzelnen stets aufs Neue, Förderer zu finden, Verbündete auf dem Weg in die Öffentlichkeit, möglicherweise sogar Institutionen oder Verlage, die ihre Türen öffnen für Präsentationen und Veröffentlichungen. Kommt es zu solchen Zusammenschlüssen, scheint das Glück vollkommen. Und keine Frage: für einen kurzen Moment ist es das auch. Gleichzeitig jedoch werden bereits im Augenblick der gemeinsamen Projektverabredung die ersten Einschränkungen des Vorhabens manifestiert: Das Werk muss sich einer Gattung zuordnen lassen (selbst dann, wenn das Gegenteil intendiert ist), es sollte unter diesen und jenen örtlichen und infrastrukturellen Bedingungen, in diesem und jenem Zeitraum realisiert werden, die Zuwendungen können nur so und nicht anders, und nur in ganz bestimmten Aufteilungen von Sach- und Personalkosten ausgegeben werden und erlauben keinerlei Umschichtung. Nicht selten spielen auch inhaltliche Modifikationen eine Rolle, damit das vom Künstler vorgeschlagene Projekt mit den thematischen Intentionen der gastgebenden Institution in Einklang gebracht werden kann.
Die Bereitschaft von Künstlern, Werkbeschränkungen dieser Art zuzustimmen, ist groß, denn der Wunsch, sich und die eigene Arbeit öffentlich in Schauspielhäusern, Museen und Konzerthallen und Galerien zu präsentieren, dominiert die problematischen Begleiterscheinungen des subventionierten Kulturbetriebs. Entsprechend in Kauf genommen wird fast immer eine nicht unerhebliche Verschiebung des originären künstlerischen Impulses zugunsten pragmatischer und institutionsgesteuerter Entscheidungen und Kompromisse unter Maßgabe der Statuten öffentlicher Förderung und Kunstpräsentation.
Auflagen und Eingriffe der geschilderten Art jedoch führen über kurz oder lang zu eigenartigen Zwischenräumen; zu Hohlräumen zwischen Wollen und Dürfen, die sich wie unauflösbare Fragezeichen in das künstlerische Projekt einschleichen und fortan ausgehalten werden müssen. Ist dieses Phänomen der ungewollten Verschiebung, für das die Übersetzungswissenschaft den Begriff „Décalage“ vorgeschlagen hat, schlichtweg unvermeidlich, wenn Künstler und Institutionen gemeinsam öffentliche Gelder in Projekte umsetzen? Die optimistisch ausgesprochene Antwort lautet: Nein.
Doch welche alternativen Möglichkeiten ließen sich denken? Werbegebundenes Sponsoring durch die Wirtschaft? Dieses, wesentlich in den USA praktizierte Modell, wäre auszuschließen, da merkantile Gesichtspunkte die Kunst bis zur Unkenntlichkeit transformieren. Bleibt die einzigartige Utopie einer Ermöglichungsform von Kunst und Kultur, die nicht auf Zuwendungen aus öffentlicher Hand und/oder Wirtschaft angewiesen ist, sondern auf projektgebundener Privatzuwendung basiert. Auf Finanzierung durch Einzelpersonen oder Stiftungen, die sich leidenschaftlich mit einem Vorhaben identifizieren und dieses längerfristig begleiten.
Das hier vorgestellte Projekt mit dem Titel hothouse for rough translations (h4rt) möchte ein solches Modell für die Stadt München vorschlagen. Und der Ort, an dem das scheinbar Unmögliche in die Realität umgesetzt werden könnte, ist bereits gefunden: ein stillgelegtes, ca. 400qm großes Gewächshaus inmitten einer urbanen Umgebung im Münchner Stadtteil Am Hart. Übriggeblieben aus einer Gewächshausanlage aus den 1950er Jahren thront es zwischen Wohnhäusern und Ladengeschäften und beherbergt neben einem unterirdischen Schwimmbad einen verglasten Innenraum, der geradezu ideal erscheint für künstlerische Projekte aus den Bereichen Film, Installation, Multimedia und Performance/Theater. Das Glashaus, das aufgrund seiner Beschaffenheit, geographischen Lage und sehr besonderen Geschichte selbst wie eine Architektur gewordene Verschiebung anmutet, wird zum räumlichen Ausgangspunkt einer langfristigen, international ausgerichteten Performance- und Kunstplattform, die sich der Untersuchung eines einzigen Begriffes widmen wird - dem der D é c a l a g e. Kein Motto, keine wechselnden Thematiken strukturieren das Programm des hothouse for rough translations (h4rt), sondern die künstlerische Erforschung der gedanklichen Dimensionen eines singulären Phänomens. Für dieses Vorhaben wird das aus den Fotografen Umberto Bauer (München) und Ana Buljan (Zagreb), dem Regisseur Florian Fischer (München), Simonetta Ferfoglia und Heinrich Pichler, den künstlerischen Leitern von GANGART (Wien), dem Autor Benedikt Haubrich (Berlin), der Dramaturgin Christa Hohmann (München), der Theaterregisseurin Christiane Pohle (München) sowie dem Dramaturgen Malte Ubenauf (Berlin) bestehende Projektteam des hothouse for rough translations (h4rt) Künstler aus sehr unterschiedlichen Bereichen einladen, im Glashaus an der Schleißheimerstrasse Projekte zu entwickeln und ein Netzwerk zur künstlerischen D é c a l a g e - Forschung aufzubauen.
Ziel des hothouse for rough translations (h4rt) ist es, über einen Zeitraum von 10 Jahren solche künstlerische Ereignisse zu ermöglichen, deren Erscheinungsformen und Organisationsmodelle von den eingeladenen Künstlern selbst formuliert werden: Herangehensweisen und Konzeptionen, die benötigten Zeiträume zur Projektentwicklung, die Präsentationsformen, mögliche Zuschauerkonstellationen, Veröffentlichungsstrategien. Die Mitglieder des genannten Projektteams verstehen sich erklärtermaßen nicht als Kuratoren, sondern als Gesprächs- sowie Organisationspartner der eingeladenen Künstler; sie ermöglichen den Atelier–, Ausstellungs-, Proben- und Aufführungsort, technischen Support, Unterbringungs- und Reisemöglichkeiten sowie Öffentlichkeitsarbeit und Projektfinanzierung.
Innerhalb des Gesamtzeitraums von 10 Jahren soll der Schauplatz, an dem die Künstler ihre Vorhaben realisieren, alle zwei Jahre wechseln. Nach dem Start des Projektes in München, wandert das hothouse for rough translations (h4rt) in andere europäische Städte. Das Gesamtprojekt hat keine künstlerische Zielvorgabe, sondern setzt auf eine inhaltliche und organisatorische Eigendynamik der durch die D é c a l a g e -Thematik initiierten Ereignisse. So lädt das Projektteam zu Beginn des Vorhabens zunächst 8 Künstler/Künstlergruppen nach München ein, um in der Glashalle eine Arbeit zu realisieren. Hierbei handelt es sich um: Gemma Antón Serna (Fotografie), asinellone (Fotografie), Bérengère Bodin (Tanz/Performance), Mirko Borscht (Theater/Film), Anna-Sofie Lugmeier und Evamaria Müller (Virtuelle Gedichte/Video Gedichte/Performative Multimedia-Installation), NEXT VISIT (Künstlernetzwerk/Installation), Penelope Wehrli (Performative mediale Räume/Theater) sowie Duška Zagorac (Dokumentar- und Spielfilmregisseurin). Aus den Begegnungen und Arbeitskonstellationen vor Ort ergeben sich (vielleicht bereits während der Startphase, spätestens jedoch ab Januar 2016) die Folgeeinladungen von weiteren Künstlern nach München. Auch die zukünftigen Standorte des Projektes werden auf diesem Wege entschieden.
Gemma Antón Serna (F), Fotografin
www.instagram.com
asinellone (D), Fotograf
http://clair.me/artists/
www.instagram.com/asinellone
Bérengère Bodin (F), Tänzerin/Choreographin/Autorin
www.lesballetscdela.be
www.youtube.com
Mirko Borscht (D), Film- und Theaterregisseur
www.wikipedia.org
Anna-Sofie Lugmeier (D) und Evamaria Müller (A), Virtuelle Gedichte/Video Gedichte/Performative Multimedia-Installation
http://doyouseethatcloudthatlookslike.tumblr.com/
Next Visit (D), Künstlernetzwerk/Installation
www.nextvisit.de
Penelope Wehrli (CH), Regisseurin/Szenografin/Medienkünstlerin
www.aether1.org
Duška Zagorac (GB), Dokumentar- und Spielfilmregisseurin
www.duskazagorac.com